Sunyata Meditation Sangha Stuttgart


Lehre-DE-37

Der Vater 

Seit jeher wird die Mutterliebe gelobt und oft über sie geschrieben. Insbesondere stehen Töchter von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter ihren Müttern sehr nah. Wünsche, Schwierigkeiten im Leben, in der Schule und in der Liebe werden der Mutter anvertraut. Es wird oft ein sanftes, liebevolles Bild der Mutter gezeichnet. Väter werden dagegen meist als strenge Personen betrachtet, da sie wortkarg sind. Sie unterdrücken meist ihre Gefühle und ihre Zuneigung. Daher stehen Kinder den Müttern sehr nahe und fürchten den strengen Vater.


Heute werde ich euch eine Kindheitsgeschichte von mir erzählen, die mich nach 60 Jahren immer noch beeindruckt.


Es war mein erstes Semester als Studentin in der Universität „Van Khoa“ in Vietnam, die sich in der Nähe des Ben-Thanh-Marktes, nahe der Le Thanh Ton Straße befand. Von hier aus brauchte man nur 5 Minuten zu Fuß bis zur berühmten Straße „Le Loi“. Am Ende des Semesters veranstaltete die Uni ein Fest im Freien auf dem Campus. Zum ersten Mal durfte ich an einem so großen Fest teilnehmen. Mein Herz hüpfte vor Freude und ich wartete gespannt auf diesen Tag. Ich traute mich aber nicht meine Eltern um die Teilnahmeerlaubnis zu bitten. Ich überlegte immer wieder, wie ich meine Eltern geschickt von diesem Ereignis erzählen kann. Der Termin kam immer näher. Es waren nur noch wenige Tage bis zu dem Fest, viel Zeit hatte ich nicht mehr. Ich musste irgendwie nach der Teilnahmeerlaubnis fragen. Als meine Mutter eines Tages allein zu Hause und gut gelaunt war, habe ich es gewagt sie zu bitten: 


  • Mama, wir haben bald Semesterferien. Fahren wir in diesem Jahr irgendwo hin? In ein paar Tagen wird es in der Uni ein Sommerfest geben, meine Schwester und ich möchten gerne hingehen.
  • Ja, nimm deine Schwester mit. 


Ich habe mich riesig über die Zustimmung gefreut. Ich war aber immer noch unsicher. Vorsichtig fragte ich weiter:

  • Das Fest beginnt um 18:00 Uhr. Wir werden aber nicht lange dort bleiben. Vielleicht bis 21.00 Uhr? 
  • Meine Mutter schwieg. Ich versuchte sie erneut zu überzeugen: 
  • Wir werden von zu Hause abgeholt und zurückgebracht.
  • Frag deinen Vater
  • Nein, frag Du ihn bitte Mama. Ich traue mich nicht ihn so etwas zu fragen. Ich habe die Eintrittskarten schon gekauft. 


Am nächsten Tag habe ich meine Mutter gefragt, ob sie mit meinem Vater schon über das Uni-Fest gesprochen hat. Sie lächelte und ich war so glücklich. 


Es war nichts besonderes, aber ein schöner Abend. Alle waren schick angezogen. Es war vielmehr ein Treffen als ein Fest. Wir haben geplaudert, gaben uns gegenseitig Komplimente zu der schicken Kleidung und machten Fotos. Als meine Schwester und ich nach Hause kamen, war es stockdunkel. Ich dachte, dass meine Eltern schon schlafen würden. Wir stiegen aus dem Auto, verabschiedeten uns und schlichen ins Haus. Das Tor war noch auf. Ich schloss es leise zu. Wir zogen die Schuhe aus und gingen auf den Zehenspitzen durch die Hintertür rein, da das Zimmer meines Vaters sich neben der Vordertür befand. Wir wollten keine Geräusche machen. Es war sehr still. Plötzlich sah ich das im Wohnzimmer brennende Licht. Als wir das Wohnzimmer betraten, sahen wir, dass mein Vater dort wach auf dem Sofa lag und auf uns wartete. Als er uns sah stand er auf, sagte keinen Ton, schloss die Vordertür zu und ging in sein Schlafzimmer. Ich war so sehr überrascht ihn zu sehen, dass ich auch kein Wort sagte. Meine Schwester und ich gingen dann schweigend in unsere Zimmer.

 

Das ist das Ende der Geschichte, mehr passierte nicht. Ich weiß nicht warum ich mich bis heute immer noch an diesen Abend erinnere. Wie war mein Gesichtsausdruck als mein Vater plötzlich vor mir stand? Er hat nichts gesagt, hat keinen Vorwurf gemacht. Wahrscheinlich hat er gemerkt, dass seine Tochter kein Kind mehr war. Schicker als normal angezogen und mit den Schuhen in der Hand, um ihn nicht aufzuwecken. Mein Gesicht war wohl fröhlich, glücklich und überrascht zugleich. Mein Vater tat mir hinterher leid. 


Kinder sind jung und unerfahren. Sie erkennen die Gefahren des Lebens nicht. Sie sehen nur ein fröhliches, buntes Leben und laufen ihm hinterher. Eltern können deswegen nicht schlafen. Sie warten bis ihre Kinder heile nach Hause kommen, um sicherzugehen, dass nichts passiert ist. 


Als ich das weltliche Haus verließ, um Novizin zu werden, waren meine Eltern bereits verstorben. Wahrscheinlich haben sie gedacht, sie hätten ihrer Tochter die drei Juwelen gegeben und sie könnten mit einem ruhigen Gewissen gehen. In den ersten Jahren des Nonnenlebens vergoss ich immer noch Tränen, wenn ich mich unterdrückt oder ungerecht behandelt fühlte. Mit der Zeit verstehe ich Buddhas Lehre besser. Mein Geist wurde stabiler und meine negativen Emotionen schwächen sich auch langsam ab. Als ich vor 25 Jahren noch in dem Grundkurs war, hat jemand bei einem Abendbrot die Musik einer einsaitiger vietnamesischen Kastenzither angemacht. Die Musik war traurig. Obwohl ich meinen Kopf zu der Reisschüssel senkte, um meine Tränen zu verstecken, hat der Meister es gesehen und lachend zu mir gesagt: „Prüfung durchgefallen, mein Kind“


Zu dem Zeitpunkt war ich bereits 50 Jahre alt aber immer noch kindlich. Der Meister war immer fröhlich. Ich habe noch nie gesehen, dass er mal mit seiner Augenbraue gezuckt hatte. Ich habe ihn gefragt, ob er nicht mal geweint hätte? Er sah mich eine Sekunde an und antwortete: "Doch, als ich aus dem Umerziehungslager freigelassen wurde, ging ich nach Thuong Chieu, um meinen Meister zu besuchen. Ich habe mich vor ihn gekniet. Ich habe geweint nur irgendwie waren meine Augen trocken. Sie hatten keine Tränen mehr! ".


Ich war wohl wirklich doof. Als der Meister, den Mönch „Không Chiếu“ und mir im Jahre 2007 erlaubte, seine Mediationstechnik zu unterrichten, suchte Mönch „Không Chiếu“ die Bodh Gaya auf, die in der Nähe des Meditationszentrum lag. Ich musste deswegen in die Bodh Gaya, die in der Ferne lag und sogar über das Meer anreisen. Am Anfang, rief ich jedes Mal meinen Meister an, um ihm mitzuteilen dass ich gut angekommen bin. Da der Meister aber Angst hatte, dass ich mich verfahren könnte, wies er die anderen an, mir nur Direktflüge zu buchen. Er wusste, dass meine Fremdsprachenkenntnisse nicht so gut waren. Weder Englisch noch Französisch. Deutsch konnte ich kein Wort sprechen. Seit meiner Kindheit bin ich noch nie allein verreist. Darum sollte ich ihn immer informieren, wenn ich am Ziel ankam. Auch bei dem Rückweg nach Cali, wurde ich direkt von dem Flughafen abgeholt. Als der Meister noch fit war, kam er ab und zu auch mit zum Flughafen, um mich abzuholen. Jedes Mal, wenn ich aus der Ferne zurückkehrte, berichtete ich ihm ausführlich über die Arbeit der Bodh Gaya, sodass er, obwohl er weit weg lebte, die Entwicklung jedes Bodh Gaya kannte. 


Einmal, als ich von der Reise zurückkam, holte mich ein Zen-Schüler am Flughafen ab. Als ich im Auto war, rief ich das Kloster an: "Ich habe den Flughafen gerade verlassen, in anderthalb Stunden werde ich dort sein, wenn ich nicht im Stau stecke. Bitte das Tor offen lassen. Ich kann nicht über das Tor klettern wie der Mönch“ Khong Chieu!“ .Damals schloss das Tor automatisch ab. Das heißt, wenn man reinkommen wollte, musste man jemanden im Zentrum anrufen. Kam man jedoch zu dem Zeitpunkt der Meditation an, musste man so lange warten, bis die Meditation vorbei ist, da niemand ans Telefon gehen würde. So war es der Fall für Mönch „Khong Chieu“. Als keiner ihm das Tor aufmachte, kletterte er über das Tor, um reinzukommen. 

Als sich das Auto an diesem Tag dem Kloster näherte, sah ich in der Ferne die Silhouette eines gelben Hemdes, die unter dem Pfefferbaum saß. Als das Auto noch dichter ran fuhr, erkannte ich, dass es der Meister war. Er saß allein auf der hohen Treppe, das Gesicht richtete sich auf das Tor. Das Auto hielt an und ich rannte zu ihm hin: "Meister. Ich bin zurück. Es gab keinen Stau. Geht es Dir gut? Willst Du dich hier sonnen? ". Ich habe viel gesprochen um meine Träne zu unterdrücken. Der Meister hat nur gelacht. Er redete in letzter Zeit sehr wenig. Der Schüler kam und kniete sich neben ihn. Er umarmte die Knie des Meisters und sagte: 

"Meister, ich bin... ". Der Meister streckte seinen rechten Arm raus. Der Schüler nahm seinen Arm. "Meister, geht´s Dir gut?". 

Der Meister lächelte nur. Er hielt die Hand des-Zen-Schülers fest. Er konnte nicht mehr richtig sehen. Wer zu ihm kam, dem gab er seine Hand. Dann ließ der Meister die Hand des Besuchers nicht mehr los. Dieses Verhalten rührte das Herz vieler Menschen.

 

Das war die Geschichte. Ich weiß nicht warum ich jedes Mal, wenn ich im Büro sitze und auf das Tor blicke, um meine Augen zu entspannen, immer noch die Silhouette eines gelben Hemdes sehe, die regungslos auf dem Stuhl vor dem Haus saß. Dann erinnere mich an meinen Vater, der bis Mitternacht im Wohnzimmer auf die Rückkehr seiner Tochter wartete. Ein liebender Vater wartet immer irgendwo auf die Rückkehr seiner Kinder! 

Sunyata Buddhistisches Zentrum, den 22.11.2021

TN 

Link zur vietnamesischen Artikel: https://www.tanhkhong.org/p105a2879/triet-nhu-snhp039-nguoi-cha

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