Der Durchbruch
Wenn wir die Geschichte von Zen-Meister Hui Neng (638-713) und von Zen-Meister Shen Xiu (605-706) lesen würden, würden wir wohl fragen, warum der Zen-Meister Shen Xiu, die Buddha-Natur nicht sah, obwohl er von allen Bevölkerungsschichten sehr geehrt wurde?
Zen-Meister Shen Xiu traf den fünften Patriarch Hong Ren, als er 50 Jahre alt war, zirka 7 Jahre vor dem sechsten Patriarchen Hui Neng, der gerade 24 Jahre alt war. Als Hui Neng im Kloster Huang Mei ankam, war Shen Xiu bereits der Hauptmönch in dem Kloster und hatte schon Dharma-Vorträge gehalten.
Nach weniger als einem Jahr erhielt Hui Neng in einer Nacht heimlich die symbolische Bettelschale und ein Mönchsgewand von dem fünften Zen-Meister Hong Ren und verließ das Kloster in der gleichen Nacht.
Shen Xiu blieb im Kloster Huang Mei bis zum Tode des Zen-Meisters Hong Ren (674-675). Er bevorzugte die langsame Erfolgsmethode: “Erleuchtung erfolgt allmählich, Schritt für Schritt. Sie erfordert eine lange und kontinuierliche Übung.”
Danach ging er in das Gebirge Dangyang, Provinz Hubei im Südosten der Volksrepublik China und unterrichtete 20 Jahre lang Buddhas Lehre in dem Tempel Tumen Si. Zahlreiche Gelehrte aus der ganzen Welt kamen hierher, um die Dharma-Vorträge bei ihm zu hören.
Zusammengerechnet lebte der Mönch Shen Xiu mehr als 10 Jahre mit dem fünften Patriarchen Hong Ren. Warum hat Shen Xiu trotz 10 Jahre langer Dharma-Übermittlung bei Tag und Nacht durch den Meister Hong Ren das Erwachungs-Erlebnis nicht erlangt, obwohl er der Legende nach das Lankavatara-Sutra und die Vinaya Pitaka auswendig kannte? Er war ein Intellektueller, während Mönch Hui Neng Analphabet war. Hui Neng hatte bis zum Eintritt in das Kloster Huang Mei keine Dharma-Übertragung gehabt, lebte einsam in Armut auf dem Lande und wurde von dem fünften Patriarchen Hong Ren aber das Diamant-Sutra gelehrt. Warum hat der fünfte Patriarch Hong Ren dem Hauptmönch Shen Xiu nicht das Diamant-Sutra übermittelt?
Es gibt wohl nur eine Antwort: Die buddhistische Bedingung. Hong Ren war ein Meister. Er kannte seine Schüler ja am Besten. Er hat erkannt, dass Shen Xiu noch nicht fähig genug war, das Diamant-Sutra aufzunehmen.
Der Buddha hat gelehrt: Durch Einhalten der Regeln erhält man einen ruhigen Geist (Samadhi) und Weisheit entsteht durch das tiefe Samadhi.
Ein rechtes Verhalten hält den Geist rein. Es ist quasi ein Gewahrsein oder eine Soheit oder ein tiefes Samadhi. Von hier aus entwickelt sich die Weisheit. Hui Neng hat erkannt, dass Regeln, Samadhi und Weisheit eins sind, während Shen Xiu die wahre Buddha-Natur noch nicht erkannt hat. Er suchte nach einem Geist, welcher in den Büchern beschrieben wurde. Er haftete zu sehr an den buddhistischen Texten und Werken an. Er suchte draußen, was in seinem Inneren war. Er suchte nach der Weisheit eines anderen, statt nach seiner eigenen Weisheit.
Ein Beispiel für die Unsicherheit von Shen Xiu war, dass er einen seiner vertrauten Schüler, Chi Cheng, nach Südchina zu Hui Nengs Bodhgaya sandte, um die Dharma-Übertragung von Hui Neng auszuspionieren.
Obwohl Shen Xiu ein Gelehrter war, hatte er leider nur die weltliche anstatt die spirituelle Moral. Sein Geist war nicht wirklich frei. Er hatte noch nicht erkannt, dass „ein reiner Geist (Natur-Geist) der Buddha-Geist ist“.
Nun, wie kann man diesen Durchbruch erreichen? Dieses „Klick“-Phänomen?
Der Durchbruch ist einer der wichtigsten Bestandteile in der Meditation. Man redet nicht nur nach, was man in den Büchern gelesen hat oder von dem Meister übermittelt wurde. Man muss von seiner eigenen Erfahrung reden. Von dem, was man eventuell schon mal gehört aber noch nicht gesehen hat, oder von dem, was man bisher weder gehört noch gesehen hat. Diese Erfahrung wird als kognitive Erkenntnis oder Erleuchtung bezeichnet, je nachdem, wie großartig sie ist.
Man geht von einer vereinbarten Wahrheit in die absolute Wahrheit über. Das heißt, man braucht die verbale Kommunikation um zu lernen, zu analysieren und zu verinnerlichen. Nachdem man sie verstanden hat, setzt man sie in nonverbale Kommunikation um. In den Sutren wurde dieser Lernprozess mit Văn (Dharma lernen), Tư (nachdenken, verinnerlichen) und Tu (üben, umsetzen) beschrieben. Um das theoretisch Erlernte in eigene Erfahrung umzuwandeln, muss man unbedingt praktizieren.
Klarer gesagt: Man muss von der verbalen Wahrnehmung des Dharma-Lernens in die nonverbale Wahrnehmung übergehen. Der Durchbruch besteht darin, dass man alle seine Gedanken im Kopf stoppen kann. Man wird dadurch viele neue Dinge erkennen, die man bisher noch nicht erkannt hat. Zum Beispiel:
Aber wie macht man das? Die Patriarchen lehrten:
Es gibt allgemein 2 spirituelle Wege:
Dieses Samadhi ist sehr wichtig. Man kann sich vorstellen, dass man vor einer verschlossenen Tür stehen muss. Man kann nicht ins Haus hineinkommen, weil man das Schloss nicht aufmachen kann. Daher ist es notwendig, eine Erfahrung von diesem gegenwärtigen Geisteszustand zu haben, tief und fest im Zustand eines wortlosen Bewusstseins. Erst wenn man in das Meditationshaus eintritt, hat man das Ziel des spirituellen Weges vor den Augen. Von hier aus geht man zuversichtlich mit Begeisterung zum Ziel. Man erwartet keine Hilfe von jemandem mehr. Man gibt nicht mehr nach. Man überwindet alle Hindernisse, die auf dem Weg liegen. Man nimmt die Herausforderungen des Lebens mit Freude an.
Die Tür zur Schatzkammer war lange Zeit zugeschlossen. Am Anfang ist es natürlich schwierig, sie aufzumachen, weil sie stark verrostet ist. Schaft man es, sie einmal zu öffnen, kann man sie immer wieder öffnen, wann man will.
Und welche Eigenschaft hat dieser Schatz?
Es gibt zwei Möglichkeiten für einen normalen Menschen, diese Schatztür zu öffnen:
Danach muss der Schüler aber die Sutren studieren und weiter fleißig praktizieren. Er muss sich bemühen, diesen Geisteszustand zu befestigen. Beispiel:
Es gibt noch viele ähnliche Beispiele. Diese Lehr-Methode scheint einfach zu sein, ist in der Praxis jedoch nicht so effektiv wie gewünscht. Es können nur wenige Schüler diesen wortlosen Geisteszustand erlangen. Wahrscheinlich verschwand diese Lehr-Methode deswegen mit der Zeit.
Zum Schluss kann man sagen, dass man diesen Durchbruch oder den Zustand des wortlosen Gewahrseins mindestens ein Mal bei der Übung erleben muss. Nur so kann man dann ohne irgendein Hindernis im Kopf vorwärts gehen. Solange man diesen Zustand noch nicht erlebt hat, steht man immer noch vor dem Tor des Meditationshauses. Man sieht seine eigenen Naturen nicht, da der eigene Geist noch trüb ist. Sobald der Geist klar und rein wird, verschwinden das Selbst und Nicht-Selbst automatisch.
Buddhistisches Zentrum, den 30 Oktober 2011
TN