Sunyata Meditation Sangha Stuttgart


Lehre-DE-32

Mein Traumland

Damals, bevor ich Ordinierte geworden ist, habe ich viele Tiefen und Höhen in meinem Leben erlebt. Mein Geist war instabil. Er war öfter mal fröhlich, mal traurig. Immer wenn ich auf eine unglückliche Situation stieß, auch wenn es sich nur um kleine Lebensumstände handelte, habe ich geweint und war beleidigt, dass ich ein Waisenkind war.


Ein Ort, an dem ich innere Ruhe fand, war ein Friedhof. Ein Friedhof mit schwach gravierten Namen sowie Geburtsdatum und Todesdatum der Verstorbenen auf schwarzen Grabsteinen, die auf einer großen, grünen Rasenfläche lagen. Neben diesen Grabsteinen standen einige frische sowie künstliche Blumensträuße. Es gab sogar bunte Luftballone, die im Wind flatterten. Der Platz war ruhig und friedlich. Ich fühlte mich auch ruhig und friedlich. Die unangenehmen Lebensumstände wurden einfach vergessen. Schließlich wird jeder hierher kommen um seine letzte Ruhe zu finden.


Damals, hielt ich für eine gute Idee, einen Friedhof mitten in einer immer Stadt anzulegen, in der immer viel los ist. Wenn die gestressten Geschäftsleute hier vorbeikommen würden und die grünen Rasenflächen, hohe schattenspendende Bäume und bunte Blumensträuße sehen, würden sie zur Ruhe kommen und sich an viele gute Dinge erinnern.


Heute merke ich, dass ich schon lange nicht mehr zu einem Friedhof gegangen bin. Wahrscheinlich seitdem ich eine Zuflucht zu Buddha fand. Seitdem suchte ich keinen Trost in einem Friedhof mehr. Ich bin nicht mehr traurig, dass ich als Waise aufgewachsen bin. Deswegen habe ich nicht mehr an einen Friedhof gedacht.


Dieses Meditationszentrum ist heute mein eigenes Reich. Es hat alles, was ich brauche. Ich muss nirgendwo mehr hingehen, um nach Irgendwas zu suchen. Ich lebe seit zwei Jahren ständig hier und habe nie Langweile gehabt. Die alten Pfefferbäume, die Felsen, die Bergkaninchen, die gelbbraunen hin und her rennenden Eichhörnchen. Tag für Tag. Morgens ist es kühl. Mittags ist es warm. Der Abend geht richtig schnell vorbei. Wenn der Frühling zu Ende geht, kommt der Sommer, nach dem Sommer kommt der Herbst und der Winter. Dann kehrt der Frühling zurück. Die Blumen blühen wieder. Der Fluss des Lebens fließt weiter ohne anzuhalten.


Früher habe ich mir gewünscht, nur 60 Jahre alt zu werden. Mehr nicht. Wenn man nicht gesund ist, sollte man nicht länger als 60 Jahre leben. 60 Jahre gingen aber schnell vorbei. Ich dachte dann, 70 Jahre alt zu werden, ist auch in Ordnung, länger brauche ich nicht zu leben. Plötzlich als ich 79 Jahre alt war, hatte der Meister uns verlassen und ich muss das Meditationshaus hier hochhalten.


Buddha war in der Vergangenheit gesund und erleuchtet. Trotzdem musste er auch sterben. Als er 80 Jahre alt war, sagte er, wie es im Mahaparinirvana Sutra niedergeschrieben ist: „Ich bin jetzt hinfällig, Ananda. Ich habe den Lauf vollendet und das Alter erreicht. Achtzig Jahre bin ich nun. Wie ein alter Wagen nur künstlich aufrechterhalten wird, so wird, denke ich, der Körper des Vollendeten nur künstlich aufrechterhalten. Ananda, nur wenn ich nicht an den weltlichen Phänomenen anhafte, die Empfindung des Körpers ignoriere, den Zustand des wortlosen Gewahrseins erkenne und ich darin verweile, dann fühle ich mich befreit.“

Unser Meister war wie ein Showmaster. Als er auftauchte, liefen viele Artisten zu ihm hin. Sie haben für mehr als 20 Jahre zusammen gespielt und gesungen, dann verlies "der Showmaster" das Geschäft. Seine Artisten verschwanden auch nach und nach.


Es geschah wie vor zirka 2600 Jahre, als Buddha ankündigte, dass er in drei Monate sein Leben beenden werde, beendeten einige seiner Schüler wie Rahūla, Sāriputta, Yasodharā sowie tausende Ordinierte vor ihm ihr Leben. Sie war alle Arhats. Sie könnten ihre Lebensdauer selbst bestimmen. Wenn sie ihr Leben beenden wollen, brauchen sie sich nur hinzusetzen, meditieren und so verlassen sie die Welt. So einfach wie die Blätter im Winter einen Baum verlassen oder wie die Blumen, ihre Blüten fallen lassen. Sie sind noch schön und frisch, auch wenn sie bereits auf der Erde liegen.


Die Lebensströme wiederholen sich immer und immer wieder. Sie sammeln sich für eine Weile zusammen dann verschwinden sie. Sie treffen sich wieder und trennen sie sich wieder. Wie die Meereswellen, die nie aufhören zu schlagen, wie die Wolken im Himmel, die nie aufhören zu fliegen, wie die Luft in unserer Lungen, die nie aufhören, raus- und rein zu gehen. Alle Phänomene, die uns um zu existieren, hören nie auf, sich zu bewegen und zu verändern. 


Hier machte ich eine kurze Schreibpause. Ich lehnte mich gegen den Stuhlrücklehnen zurück, schloss meine Augen für ein paar Sekunden und ruhte mich aus. Friedlich machte ich meine Augen wieder auf, die Umgebung war völlig still, die Pfefferblätter waren still, der Wind war still und mein Geist war auch still. Es war seltsam, liebe Freunde. Alles war ruhig und friedlich. Keinen Mensch, keine Tiere zu sehen. Die Topfpflanzen standen regungslos. Die Sonne, die auf die Hofecke schien, war auch regungslos. Es scheint als alles stehen bleiben zu wollen.


Ein kleiner Spatz flog vorbei. Ein paar Blättern von dem Pfefferbaum zitterten sich leicht und blieben wieder stehen. Mein Geist war ruhig. Irgendwo weit her echote das bellen der Hunde. Das Leben ist ja noch da. Aber es scheint weit weg von hier zu sein, außerhalb meinem ordinierten Leben, außerhalb dem Meditationshaus. Das Tor des Meditationshauses war zwar immer zu aber nie abgeschlossen. Das Tor wurde nur angelehnt, um fremde Störfriede fernzuzuhalten.

Die Lehrgangsteilnehmer, Praktizierender können es problemlos passieren. Das Meditationshaus gehört ja den Meditierenden. Sie können kommen, wenn sie Dharma hören wollen und gehen wenn sie nicht mehr bleiben wollen. Freiwillig. Wer kommen will, der wird willkommen geheißen, wer gehen will, der wird freundlich verabschiedet. Keiner wird hier festgehalten, wenn er nicht bleiben will. Meditierende freuen sich nicht, wenn jemand kommt und sind nicht traurig, wenn jemand geht. Das Meditationshaus bleibt nach wie vor grün, frisch, ruhig und friedlich.


Bodhidharma lehrte: „Der spirituelle Weg ist wortlos“. Das Meditationshaus ist wortlos. Der Wind, die Wolke, der Himmel, die Tannenbäume, die Pfefferbäume, die Blumen, die Kräutertöpfen sind wortlos. „Wahres Sutra hat keine Schrift“.


Der moderne Buddhismus schrieb in einem Sutra, dass Buddha immer noch Dharma in Gṛdhrakūṭa lehrt. Das muss stimmen. Sein Dharma-Klang wiederhallt unaufhörlich an das Meditationshaus. Müssen wir denn noch irgendwo hingehen um nach seinem Dharma zu suchen? Wenn immer ich meine Augen öffne, sehe ich frisches Gras, verdorbene Blättern. Ich sehe den Regen, die Sonne, den Mondschein und die Nebel. Ich sehe Buddha vor meinen Augen. Ich höre sein Dharma. Ich lebe in der immensen Energie des Lichts der Weisheit und des Mitgefühls, wonach soll ich denn noch suchen?


Halt, bleib stehen. Gedanke abschalten. Suche nicht draußen Dharma oder Buddha. Laufe nicht die ganze Zeit mit dem Gehstock herum. Je mehr Gedanke man hat, desto weiter ist der spirituelle Weg. Mache Augen auf, betrachte die Blumen genau an. Sie haben keinen Namen. Sie sind leer. Ihr müsst es erkennen. Hör sie genau zu. Haben sie etwas gesagt? Nein, sie haben nichts gesagt. Wir müssen still sein, um das Regungslose sehen und hören zu können. Das Regungslose kann man nicht beschreiben. Es ist so wie es ist.


Das ist mein Traumland. Mein Traumland ist hier, dieses Meditationshaus, und auch die ganze Welt. Wo auch immer ich hingehe, werde ich in dieser Welt bleiben. Wo auch immer ich hingehe, werde ich in diesem Traumland leben und sterben.

Sunyata Buddhistisches Zentrum, den 05-11-2021

TN

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