Der Vipassanā-Weg
Im Buddhismus gibt es zwei wichtigste spirituelle Übungswege, nämlich das Samadhi und die Weisheit. Es ist wie bei einem Vogel, der 2 Flügel haben muss, um sein Gleichgewicht in der Luft halten zu können. So hat unser Meister damals diese spirituellen Übungswege mit einem Vogel verglichen. Ein Anhänger Buddhas muss also unbedingt Samadhi und Weisheit besitzen, um das Erleuchtungsziel zu erreichen. So dichtete er:
„Ich lebe zwar in dieser Welt, verschmutz mich aber nicht mit dem Lebensstaub
Ich lebe zwar in dieser Welt, ich verliere aber nicht das Samadhi und die Weisheit“
Früher hat der Bodhidharma auch das Lehren dieser zwei Übungsarten angesprochen: Theorielehre und Praxislehre. Das heißt, es gibt 2 Türen, die zum gleichen Ziel hinführen. Durch die Weisheit erkennt man die Leerheit des Geistes und durch Praxis erreicht man die Leerheit des Geistes.
Heute versuchen wir einfach den Unterschied zwischen Samadhi- und Weisheitsübung zu finden.
Meditation wurde in Pāli "jhāna" und in Sanskrit "dhyāna" genannt. Japanisch wird sie Zen übersetzt. Meditation kann allgemein als eine Methode gesehen werden, um den Geist rein und edel zu schulen, die Gesundheit für den Körper und die Weisheit für den Geist zu fördern. Meditation ist grundsätzlich an keine Religionszugehörigkeit gebunden. Meditation wird auch von Nicht-Buddhisten geübt und gelehrt. Jedoch in diesem Rahmen spreche ich nur über die Übungswege des Buddhismus.
Vipassanā ist eine Übungstechnik, die die Weisheit fördert. Das Präfix „vi-“ bedeutet in erster Linie „zwei Teile“. Daher können wir diesen fortlaufenden Prozess wie folgt aufteilen:
1.) Einsicht
Der Übungsweg zum Enthalten dieser Einsicht wird „Vipassana-Meditation“ (vipassanā-bhāvanā) oder „Vipassana-Praxis“ genannt. Man beobachtet die weltlichen Phänomene mit der Weisheit. Das heißt, man nimmt das Objekt, das vor den Sinnesorganen präsent ist, richtig objektiv wahr. Hierfür gibt es auch eine ähnliche Praxis, die Yathābhūta heißt.
Dieser erste Praxis-Schritt benutzt immer noch die Sinnesorgane. Daher ist er sehr gut geeignet für Laien, die Familie haben. Sie gehen noch zur Arbeit um Geld zu verdienen und haben noch viele Sozialkontakte mit der Gesellschaft. Liebe Freunde, denkt ernsthaft nach und fangt an zu üben. Nichts ist besser als diese Praxis. Sie ist ein Erbe von dem Buddha. Wenn wir sie schätzen und entsprechend praktizieren, dann sind wir „Dharma-Erben“ des Buddhas.
Zuerst betrachten wir das Umfeld so wie es ist. Sollte sich dort jemand befinden, erkennen wir klar, dass dort jemand ist. Konzentrieren wir uns zu lange auf dem Bildschirm so dass unsere Augen müde sind, richten wir einfach unseren Blick in die Ferne. Wir sehen aus dem Fenster, in die Ferne, der Geist ist leer und entspannt. Wenn wir Auto fahren, nehmen wir wahr, dass wir gerade Auto fahren. Wir hören keine Musik oder Dharma-Lehre. Beim Kochen richten wir die Aufmerksamkeit auf das Kochen. Keine Musik oder Dharma-Lehre hören. Bei der Atmungs-Meditation nehmen wir wahr, dass wir ein- und ausatmen. Beim Spaziergang sehen wir die Pflanzen und die Blumen so an, wie sie sind. Wir sollen nicht anfangen, sie zu bewerten wie zum Beispiel: diese ist frisch, diese welkt oder wir erinnern uns an die vergangenen Ereignisse, dann sind wir traurig oder wir machen uns Sorgen über die Zukunft usw…
So meditieren wir. Einfach oder? Die Theorie lässt sich jedoch auch viel komplizierter erklären:
Aha, gerade angefangen zu trainieren und schon am Ziel angekommen. Soll ich hier Schluss machen? Folgende Erklärung ist eigentlich überflüssig. Wer bisher verstanden hat, der braucht diese Erklärung nicht mehr zu lesen. Sie wiederholt nur, was oben bereits erwähnt wurde.
2.) Selbstbewusstsein/ self-awareness
Eigentlich, wenn wir den Übungsschritt 1 (das Umfeld bewertungslos ansehen) praktizieren, erkennen wir schon, wie der Zustand unseres Geistes ist. Dieser Schritt ist jedoch sehr wichtig. Viel wichtiger als der Übungsschritt 1. Warum? Da der Schatz in uns liegt und nicht außerhalb.
Der 1. Übungsschritt hilft uns, weniger Anhaftung an die Außenwelt haben zu können. In der Zen-Meditation ist es als Loslassen bekannt. Das ist das Ziel des Übungsschrittes 1 und sehr wichtig für die Laien. Da sie noch viel Kontakt mit der Außenwelt haben, sollen sie einiges loslassen. Nur so haben sie weniger unerwünschte Gedanken beim Meditieren.
Nachdem wir das Leben mit einer relativen Gleichgültigkeit betrachten können und unser Geist weniger sensibel ist, richten wir unseren Blick nach innen, um den Zustand unseres Geistes zu beobachten.
Dies kann auch der erste Schritt von Satipatthana sein: Einsicht oder Achtsamkeit des Körpers, der Gefühle, des Geistes oder der Dharmas.
Wir sollen diese Übung ständig im Alltag üben. Wenn wir gehen, stehen, liegen oder sitzen, sollen wir alle auftretenden Empfindungen oder die verschiedene Aspekte unseres Geistes wahrnehmen. Wenn wir sie aber nur wortlos beobachten, werden sie dann automatisch verschwinden. Der gemischte mentale Zustand des Geistes wird verblassen und vergehen.
Das ist der grundlegende Übungsschritt, den wir stetig wiederholen sollen, damit er zu einer Gewohnheit wird, dass wir immer in Achtsamkeit leben. Wir nehmen zu jeder Zeit unseren Geist und unseren Körper klar wahr.
Weil der Geist schon transformiert wurde, ist er rein, ruhig und wahrhaftig. Die Sicht wird klarer und objektiver; so dass keine Triebe (Āsava), Fesseln (Samyojana) oder Verunreinigungen (Anusaya) entstehen können. Diese Übung wird auch mit Weisheit klassifiziert, obwohl sie noch mit intellektuellem Bewusstsein geübt wird.
3- Pranja - Prajñā (Sanskrit) - Paññā (Pali)
Prajna bedeutet das höhere Wissen (Abhijñā), eine überlegene Weisheit, die vollständig und höher als die weltliche Weisheit ist.
Weltliche Weisheit (Wissen): dieses Wissen entsteht durch das Lernen. Zum Beispiel: Durch Studieren des Dharmas hat man zwar noch nicht etwas Neues erschaffen, ist aber trotzdem weise, da man die Wahrheiten des Lebens erkennt. Sie ist höher als das Wissen (weltliche Weisheit).
Pranja-Weisheit: Sie wird nicht durch unterscheidendes Bewusstsein vermittelt. Sie entsteht durch den Prozess der Praxis. Diese Weisheit ist die eigene Weisheit. Eine selbsterklärende Erkenntnis.
Nun wollen wir herausfinden, wie wir üben sollen, um uns dieses Pranja-Weisheit zu erlangen.
Fakt ist, dass ein Entwicklungsprozess immer von einem niedrigen Niveau bis in das hohe Niveau verläuft. Die erste Voraussetzung ist, dass es eine Frage gibt oder es gibt etwas, das noch unklar ist, dann fängt man an, nachzuforschen, zu analysieren, zu begründen, zu spekulieren, zu vergleichen und dann trifft man eine Entscheidung. Das ist der Ablauf eines normalen Prozesses der weltlichen Weisheit, welcher durch die Aktivität eines subjektiven Egos oder einer subjektiven Verblendung beeinflusst wird. Daher ist diese Interpretation nicht für jeden geeignet, obwohl sie eventuell richtig ist. Sie ist aber nicht neu und kreativ. Sie ist ein vorhandenes Wissen, das aus dem Wissen eines anderen gewonnen wurde.
Glücklicherweise gibt es im menschlichen Gehirn noch eine andere interpretative Funktion, die nicht durch das Denken, Spekulieren oder Vergleichen, sondern direkt, unmittelbar interpretieren kann, so dass die Triebe, Fesseln, keine Chance mehr haben, die Entscheidung subjektiv zu beeinflussen. Diese natürlichen Funktionen des Sehens, des Hörens und des Berührens sind angeboren. Sie gehören zu den fünf Sinnesorganen: Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper, und immer wenn diese fünf Sinnesorgane mit einem Objekt in Kontakt kommen, nehmen sie mit dem ersten Erkennen das Objekt wahr. Diese allererste Wahrnehmung ist die anfängliche Interpretationsebene, die einfach, unmittelbar, objektiv, ruhig und präzise ist. Diese Sichtweise ist so rein, dass wir sie als den Beginn eines weisen Geistes betrachten können, obwohl sie noch nicht schöpferisch ist.
Durch diese Erfahrung erkennen wir, dass noch eine weitere wichtige Bedingung darin besteht, dass der Geist völlig still sein muss, ohne jegliches Gemurmel zu haben. Nur so kann die Funktion des Intellektes abgeschaltet werden und die Natur des Sehens, des Hörens und des Berührens werden aktiviert. Diese Bedingung ist sehr schwierig zu erfüllen, da unser Geist von Geburt an, nie still war. Auch beim Schlafen ist er aktiv.
Warum ist er dauernd aktiv, auch im Schlafen?
Daher ist es notwendig, eine Weisheit zu haben, um die Lebenswahrheiten zu erkennen: Vergänglichkeit, Leid, Nicht-Selbst, bedingte Entstehung, Leere, Illusion, Soheit. Wir müssen alle diese Wahrheiten erkennen, damit unser Geist weniger an die weltlichen Phänomene gebunden ist, damit er ruhig und ausgeglichen sein kann.
Um diese Weisheit zu fördern, müssen wir ein Meditationsobjekt haben. Der Zen-Meister ermutigte uns, das Objekt Soheit auszuwählen. Eigentlich sind alle Methoden auf das gleiche Ziel ausgerichtet: Atakkāvacara: jenseits von Worten, still, rein, klar, objektiv.
Für Samadhi-Technik gibt es drei Meditationsobjekte: Formlosigkeit, Leerheit und Wunschlosigkeit
Ebenso gibt es auch drei Meditationsobjekte für die Weisheit: Leerheit, Soheit und Illusion.
Trotzdem haben alle sechs oben genannten Meditationsobjekte die gleichen Eigenschaft: völlig leer und völlig still. Ein Zustand, den man nicht mit Worten beschreiben kann. Sowie die sechs vorläufigen Begrifflichkeit eines Ortes, an dem der Geist vollständig aufhört zu denken: „das Nirvana“.
Wenn man ein Meditationsobjekt für sich gefunden hat, muss man zuerst den wahren Sinn dieses Themas herausfinden. Man muss den Kern des Themas sowie den feinen Unterschied zwischen verschiedenen Meditationsobjekten erkennen. Dann praktiziert man.
Der Meister hat zum Beispiel eine einfachste Definition für die Soheit genannt: „sie ist namenlos“. Wenn jemand in dem Zustand eines wortlosen Gewahrseins stehen würde, würde er "diese Namenlose" erkennen und wie kann man denn eine namenlose Sache benennen, wenn sie keinen Namen hat. Sie ist nur „so“/ Tathatā / Suchness.
Sobald man diese Bedeutung verstanden hat, ist das Objekt eine nonverbale Wahrnehmung. Es gibt also kein Ich und das Objekt mehr. Ich und das Objekt sind eins.
Da es sich um eine nonverbale Wahrnehmung handelt, ist der Geist entsprechend auch leer. Es gibt weder „Ich“ noch das Objekt und wenn es weder „Ich“ noch Objekt gibt, dann gibt es keine Übung mehr.
Um eine völlige Entspannung für den Körper und Geist bei diesem Level zu erreichen, muss man unbedingt eine Sitzmeditation einnehmen, damit die tiefe Versenkung stabiler wird. Diesen Zustand kann man eventuell auch im Liegen erreichen, jedoch nicht beim Stehen, Gehen oder bei anderen Aktivitäten, da, solange sich der Körper noch bewegt, der Geist noch aktiv ist.
Um eine Prajna-Weisheit fördern zu können, müssen 2 Bedingungen erfüllt werden: eine ungelöste Aufgabe und ein ruhiger Geist. Wenn der Geist vollkommen ruhig ist, kommt das wortlose Bewusstsein zum Vorschein, man erhält plötzlich eine Idee, wie man die Aufgabe lösen kann. Diese Idee kommt spontan wie ein Blitz. Der Zen-Meister hat nach dem Studieren mehrerer Berichte über die Funktionalität des Gehirns erkannt, dass es sich hier um eine interpretierende Aktivität der Precuneus-Funktion handelt. Laut Studien liegt der Precuneus in der medialen Hirnrinde und ist in Ruhebedingung stärker aktiviert als in einer Reihe von Vergleichsbedingungen.
Fazit: Am Anfang gibt es einen kleinen Unterschied zwischen Samadhi und Prajna:
Samadhi fängt mit wortlosem Bewusstsein an und geht dann in das wortlose Gewahrsein über. Prajna fängt mit kognitiven Erkenntnissen an und geht dann auch ins wortlose Gewahrsein über. Somit kann man sagen, dass Samadhi und Pranja nicht getrennt werden können. Immer wenn Samadhi tief und fest ist, bringt es das Pranja hervor und umgekehrt, wenn Prajna existiert, wird der Geist rein und ungebunden. Das heißt: der Geist ist so unerschütterlich stabil, dass die acht Verblendungswinde des Lebens ihn nicht beeinflussen können.
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