Sunyata Meditation Sangha Stuttgart


Lehre-DE-19

Die Sandkrabben (No. 11)

Als wir klein waren, wurden wir unterschiedlich belohnt, wenn wir gut in der Schule waren. Zum Neujahrsfest zum Beispiel erhielten wir etwas Geld von den Eltern, damit wir "Kürbis, Krabben, Garnelen, Fisch" (ein vietnamesisches Glücksspiel mit drei Würfeln) in den ersten drei Tagen des Neuen Jahres spielen konnten. Als wir etwas älter waren, schrieben wir Briefe an den Weihnachtsmann und wachten am ersten Weihnachtstag sehr früh auf, um die Geschenke auszupacken ohne zu wissen, wann der Weihnachtsmann zu uns gekommen war. Noch etwas älter durften wir dann mit der Familie Urlaub am Strand machen. Entlang des weißen Sandes, am Wasserrand, gab es unzählige winzige Sandkörner, die sich übereinander lagern und nebenan liefen die winzigen Sandkrabben herum. Die Sandkrabbe ähnelt normalen Krabben mit einem kleinen grauen Panzer auf dem Rücken, so klein wie mein kleiner Fingernagel. Sie zermahlt den Sand immer wieder in kleine Kugeln und stapelt sie aufeinander. 


Wenn man trotz harter Arbeit aber nicht zum Erfolg kommt, sagt man in Vietnam, es war "Sandkrabbenarbeit". „Die Sandkrabbe zermahlt Sandbälle auf dem Strand, strengt sich aber für nichts an“ .


Später als ich Nonne geworden war, war ich öfter mit dem Meister unterwegs. Aus dem Flugzeugfenster sah ich zuerst nur die weißen Wolken unter dem Flugzeug. Als das Flugzeug aber tiefer flog, sah ich die Gebirge, Seenplatten und Flüsse. Flog es noch tiefer runter, sah ich dann winzige Wagen auf Autobahnen, die sich so langsam bewegten wie die kleinen Käfer. Dann kamen Häuser und Gebäude zum Vorschein. So klein wie die Spielzeuge der Kinder und in jedem kleinen Spielzeughaus wurden mehrere Zimmer aufgeteilt wie Wohnzimmer, Schlafzimmer, Esszimmer, Küche, Bad. Das heißt, dass die Menschen noch wesentlich kleiner als die Spielzeuge sein mussten. So klein wie die Ameisen oder die Sandkrabben am Meer und doch kämpfen wir immer noch gegeneinander um Konflikte, Traurigkeit, Neid und Hass zu erzeugen? Warum?


Ein Tsunami kann eine ganze Stadt in Sekunden zerschlagen. Ein Brand kann alles in Schutt und Asche legen. Die Feuer eines Vulkans, Erdbeben, Pandemien können die ganze Welt lahm legen. Und warum schlafen wir immer noch? Lass die Natur so bleiben wie sie ist. Wir haben immer stolz behauptet, dass wir das intelligenteste Lebewesen auf der Welt sind und doch verhalten wir uns nicht wie das intelligenteste Lebewesen.


Wenn wir zurückdenken, erkennen wir, wie hart ein Menschenleben ist. So früh aufstehen und bis spätabends schrubben. Mal fröhlich, mal sorgenvoll. Aber wofür? Das Ziel ist nichts anders als das Erlangen von Reichtum, Ruhm, Schönheit, Essen und Erholung. Oder kurz gesagt, nichts anderes als diese drei Dinge: Ruhm, Geld und Liebe. Diese 3 Dinge haben aber eine enge Beziehung zueinander. Wenn man reich ist, ist man berühmt und wird geliebt. Ist man berühmt wird man geliebt und hat Geld. 

Warum merkt keiner, dass wenn man stirbt, man mit leeren Händen und alleine geht. Keiner kann seinen Reichtum, seine Berühmtheit mitnehmen. Keine seiner Geliebten würde mit ihm ins Jenseits gehen.

 

Ein erwachter Mensch erkennt aber, dass das Leben nur ein Zaubertrick ist. Die Show wurde von einem Zauberer vorgeführt und nachdem die Vorhänge zu sind, gehen alle nach Hause. Mit leeren Händen. 


Wir, die Menschen, sind nicht anders als die Sandkrabben. Wir bauen lebenslang sehnsüchtig auf Reichtum, Liebe und Ruhm auf, genauso wie die Sandkrabben, die lebenslang Sandbälle auf dem Strand bauen. Wir erzeugen dadurch unzählige Leiden für uns selbst und für die anderen. 


Das ist die Wahrheit, die jeder außer den Kindern mal wahrgenommen haben müsste. Ein acht- oder neunjähriges Kind hat auch schon mal einen kranken, alten Mann gesehen. Mit 20; 30 schmiedet man viele Pläne fürs Leben. Man ist ja noch jung und unerfahren. Alles ist noch rosig. So waren wir auch mal. Daher sagten unsere Vorfahren damals: „Das ist das Alter, in dem man noch nicht satt essen und noch nicht bis zum Ende denken kann.“


Es gab aber eine schöne Geschichte über das Weitergeben der königlichen Krone in dem Sutra. Ein König hat seinem Friseur gesagt, dass er ihn informieren soll, sobald er weißes Haar auf dem Kopf des Königs sah. Eines Tages legte der Friseur dem König ein weißes Haar auf die Hand. Der König merkte, dass er schon alt ist und übergab den ersten Prinz seinen Thron. Er ging dann in die Berge um zu praktizieren. Sein Sohn machte es genauso wie der Vater und so wurde diese gute Tradition über mehrere Generationen vererbt. 


Wenn ich diese Geschichte lese, denke ich nach, wie lange ein Menschenleben dauert? Vor 2000 Jahren ist Buddha mit 80 Jahren gestorben. Vietnam hat einen Spruch: „Wer seinen 70. Geburtstag noch feiert, der hat wirklich ein langes Leben“. (Die Lebenserwartung in Vietnam liegt durchschnittlich bei 60 Jahren). Wir wissen auch, dass unser Körper mit 50 anfängt zu veralten. Nach wissenschaftlichen Forschungen fängt dieser Alterungsprozess sogar bereits bei 20,30 Jahren an. Mit 60, 70 wird das Leben nur noch nach Tagen gezählt. Wir nehmen es wahr, da unsere Haare nicht mehr so glänzen wie in den jungen Jahren. Die Lippen sind nicht mehr rötlich. Die schwere Vergangenheit belastet die Schultern. Die Zukunft ist nicht mehr so hell. Trotzdem kehren wir nicht zurück sondern wir gehen noch tiefer in diese Sackgasse. 


Diese Sackgasse ist auch der Lebensweg, der zum Reichtum, Ruhm und zur Schönheit führt. Der Weg der Gier, der Wünsche und des Verlangens nach der Liebe. Wir verbringen dieses kurze Leben nur auf der Suche nach solchen Wünschen und dann verlassen wir die Welt mit leeren Händen. Wir sind nicht anders als die Sandkrabben oder die Seidenraupen, die die ganze Zeit in ihrem schönen Kokon verbringen ohne zu merken, dass sie eines Tages wegen ihrer schönen Seide sterben müssen.

Sunyata Buddhistisches Zentrum, den 25-06-2021

TN

Übersetzung ins deutsche von Quang Dinh

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