Wirkungen des Denkens
Auf der negativen Seite führt das Denken zu folgenden negativen Wirkungen:
- Erstens ist das Denken ein Prozess, der die Geistesruhe oder Geistesstille behindert. Daher behindert es auch die Entwicklung oder die Arbeit der “Natur des (wortlosen) Gewahrseins” (Buddhitā). Denken ist ein dynamischer Prozess, während dessen die “Natur des Gewahrseins” (Buddhitā) nicht arbeiten kann.
- Wenn eine Person ständig nachdenkt, ist ihr Geist an das Objekt des Denkens angehaftet (gebunden). Je mehr sie nachdenkt, desto mehr entsteht eine Geistesverwirrung oder Geistesunruhe. Es gibt viele Arten von Gedanken, die zu körperlicher Schwäche, Nervenzusammenbruch und Depression führen, wie zum Beispiel das Nachdenken über den Tod eines geliebten Menschen oder Gedanken an die Zukunft des Kindes, das wir am meisten lieben, aber jetzt hört unser Kind nicht mehr auf unseren Rat und schließt sich einem Banditenclan an oder Gedanken an Ehebruch des Ehemannes oder der Ehefrau. ... Je mehr wir nachdenken, desto verwirrter wird unser Geist, was zu mehr psychosomatischer Erkrankung führt.
- Denken ist ein Hindernis für die religiöse Verwirklichung (religious realization). Wir werden niemals in der Lage sein, die Wahrheit zu erkennen, wenn wir unsere Gedanken weiter benutzen, um zu verstehen. Denn Denken ist gleichbedeutend mit “Nichtsehen”. Wenn wir gesehen haben, dann denken wir nicht. Beim Denken wird immer wieder altes Wissen ausgegraben. Wir “wandern” sozusagen im Kreis unserer subjektiven Überlegungen umher.
- Das Denken führt durch Subjektivität und Vorurteile zu falschen Einschätzungen. Von da an entsteht unheilsames Karma. Wenn wir zum Beispiel Vorurteile über jemanden haben, denken wir immer schlecht über ihn, stellen über ihn unwahre Behauptungen auf oder etikettieren ihn subjektiv. Damit erzeugen wir versehentlich unheilsames Karma. Natürlich werden wir eines Tages die Früchte unserer schlechten und bösen Gedanken gegenüber anderen tragen müssen.
- Triebe oder unheilsame Angewohnheiten werden auf der Grundlage von Denkprozessen hergestellt.
- Weil der Geist beim Denkprozess immer unruhig ist, kann Samatha (Gemütsruhe) oder Samadhi (Geistessammlung) nicht erreicht werden.
- Der Denkprozess führt weder zur Erleuchtung noch zum Sehen.
Auf der positiven Seite bringt das Denken folgende Vorteile mit sich:
- Wenn wir was tun, überlegen wir genau, damit unser Tun nicht in die Irre führt oder die bei der Zufluchtnahme angenommenen Regeln nicht bricht. Wir folgen auch nicht blind dem Fehlverhalten irgendeiner Gruppe.
- Wir glauben nicht blind, wir wissen, Böses zu vermeiden und Gutes zu tun. Wir wissen, verschiedene Geistesqualitäten wie Mitliebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut zu entwickeln, und wissen auch, dass wir falsche Ansichten loslassen sollen. Wir wissen, dass wir nicht an unserer Sicht hartnäckig festhalten oder unsere subjektive Meinung beibehalten sollen.
- Wir wissen, zufrieden zu sein, mit dem was wir haben, um einen friedfertigen Geist zu erreichen. Wir vermeiden parteiische Gedanken.
- Wir wissen, geeignete theoretische Lehre und Praxismethode auszuwählen und keinen großen Wert nur auf die Theorie über Meditation zu legen.
Der Unterscheid zwischen "Denken" und der “NATUR DES WORTLOSEN GEWAHRSEINS” (Buddhitā)
Denken ist das ununterbrochene Funktionieren von diskursiven Denkprozessen oder innerem Reden im Gehirn. Sein Subjekt ist das Ego oder Ich. Es wird basierend auf dem Objekt außerhalb der Sinnesorgane oder innerhalb des Geistes gebildet. Es besitzt keine Fähigkeit zu erleuchten (verwirklichen= Realization) oder zu sehen.
Buddhitā ist das wortlose, vergängliche und synchronisierte Wissen oder Gewahrsein. Es besitzt kein Ich. Um das darlegen zu können, nannten die Mahayana- Buddhisten es vorläufig das „wahre Selbst“ oder den „Chef“. Es ist nicht objektbasierend. Seine Fähigkeit ist Verwirklichung (Realization) oder Sehen. Denken ist der Katalysator, der zusätzliche Triebe oder unheilsame Angewohnheiten erzeugt. Wer viele Gedanken mit sich trägt, der kann keine geistige Freiheit erlangen. Buddhitā ist der Katalysator, der die innere Verwirklichung erzeugt, der das Unterdrücken von Trieben oder unheilsamen Angewohnheiten unterstützt.
Buddhitā ist nur aktiv anwesend, wenn der Denkprozess abwesend ist. Sowohl das Denken als auch Buddhitā sind ständige geistige Aktivitäten. Aber die Buddhitā arbeitet in Wortlosigkeit, das Denken arbeitet geistig verbal. Buddhitā liefert nur dann Lösungen, wenn das Denken und der Intellekt aufhören zu arbeiten. Deswegen kann Buddhitā, obwohl es ständig arbeitet, wenn der Denkprozess noch aktiv arbeitet, seine Fähigkeit nicht zeigen und die Bereitstellung der interpretativen Daten durch Buddhitā nicht zustande kommen. Durch Übung der Zen-Methode sind wir fähig, Buddhitā dazu zu bringen, seine Rolle zu spielen.
Denken ist das Gegenteil von Meditation (ZEN) ?
Bodhidharma sagte: "Denk an nichts, das ist Zen. Sobald Sie dies wissen, beim Gehen, Stehen, Liegen, Sitzen, bei allen, was Sie tun, ist dies Zen. “So zu wissen” weiß ein leerer Geist, heißt, Buddha zu sehen”.
Sehen bedeutet, mit dem geistigen Auge zu sehen und Verwirklichung zu erlangen. In jenem Moment verstehst du sofort und direkt. Meditation lehrt uns das Sehen und nicht das Denken. Denken ist daher immer das Gegenteil von Zen. Meditation ist ein Produkt des Sehens. Denken ist ein Produkt der Vorstellungskraft, die nicht direkt in die Essenz des Zen geht. Denken bedeutet, man spricht mit sich selbst. Sehen ist die wortlose Verwirklichung. Das Ziel von Zen kann nur durch Wortlosigkeit (Schweigen im Geist) erlangt werden. Je mehr wir denken, desto weiter werden wir von dem Ziel des Zen weggehen. Je mehr wir denken, desto schwieriger wird die Verwandlung (Transformation) von Körper, Geist und Seele sein. Das tiefgreifende Ergebnis von Zen ist die geistige Freiheit, und nicht das vorübergehende (momentane) Vergnügen. Wenn wir uns ein vorübergehendes (momentanes) Vergnügen gönnen, lullen wir uns selber ein. Meditation lehrt uns nicht, uns einzulullen, sondern wir müssen direkt in die Realität eintreten. Diese Realität ist eine Namenlose. Es ist unser “eigenes ursprüngliches Gesicht". Um dorthin zu erlangen, muss die Verwirrung des Nachdenkens zerstört werden.
Wenn man nicht sieht, denkt man. Und wenn jemand sieht, dann denkt er nicht. Wenn wir bei der Arbeit stecken bleiben, müssen wir sitzen und nachdenken. Vergleichbar als ob wir gerade im Dunkeln tappen, im Dunkeln der Unwissenheit. Das liegt daran, dass wir noch nicht gesehen haben. Wenn wir schon gesehen haben, dann müssen wir nicht mehr tappen. Also, “im Dunklen tappen” bedeutet, dass wir es noch nicht gesehen haben. Wenn wir schon sehen, müssen wir nicht mehr tappen. Das Problem wird von uns dann sofort erkannt. Deswegen ist Denken der Einsicht nicht gleichwertig. Das Denken verkörpert die Unwissenheit. Es tastet weiter im Dunkeln.
Meister Thích Thông Triệt